Montag, 23. Dezember 2019

2019 war für den Lärmschutz das Jahr der Überraschungen – aber ist neu auch immer gut?


Das Jahr 2019 brachte Neuerungen im Lärmschutz, die selbst die engere Fachwelt überrascht haben; andere Neuerung waren lange bekannt und sind trotzdem bei einem breiteren Fachpublikum nicht angekommen – der Versuch einer Einordnung.

Es begann im Januar mit der Einführung der "BUB". Die Einführung von KNOSSOS hatte sich ja weitgehend herumgesprochen, aber "BUB"? Die Berechnungsmethode für den Umgebungslärm von bodennahen Quellen (Straßen, Schienenwege, Industrie und Gewerbe) ist die nationale Umsetzung von KNOSSOS und ersetzt die VBUS, VBUSch und VBUI. Die BUB ist seit dem 1. Januar 2019 für die Berechnung von strategischen Lärmkarten verbindlich.

Es folgte im Juni 2019 die EU-Verordnung 2019/1010 - kennt fast niemand. In einem Sammelsurium von veränderten EU-Verordnungen ist weit hinten der Artikel 2 "Änderung der Richtlinie 2020/49/EG" zu finden. Die wichtigste Änderung: Ab der vierten Runde der Lärmaktionspläne wird die Bearbeitungszeit auf zwei Jahre ausgeweitet und heilt damit die bisherige, praxisferne Jahresregelung. Die überarbeiteten oder neuaufgestellten Lärmaktionspläne müssen also nicht im Juli 2023, sondern erst zum 18. Juli 2024 an die EU gemeldet werden.

Und im September folgte die Überraschung des Jahres: Die lange erwarteten RLS-19 wurden eingeführt! Tatsächlich? Nein, nur ein bisschen. Aber der Reihe nach: Am 29. Oktober teilt die FGSV per E-Mail mit, das die RLS-19 jetzt beim Verlag bestellt werden kann. Das kam für die gesamte Fachwelt ziemlich überraschend, hatte man doch mit einem weiteren Aufschub gerechnet. Am 31. Oktober wurden die RLS-19 im Verkehrsblatt veröffentlicht und damit vom BMVI verbindlich eingeführt. Verbindlich? Jein, denn: "Sobald die Zweite Verordnung zur Änderung der 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes-lmmissionsschutzgesetzes mit der direkten Bezugnahme auf die RLS-19 in Kraft getreten ist, werden die Abschnitte 3 und 1 der RLS-19 bei der Lärmvorsorge anstelle des Berechnungsverfahrens nach Anlage 1 der 16. BlmSchV bzw. nach Kapitel 4 der RLS-90 gelten." Heißt somit: Die Teile 0. (Anwendungsbereich und Zielsetzung) sowie 2. (Möglichkeiten zur Minderung von Lärmeinwirkungen durch Planung) sind eingeführt und ersetzen die RLS-90, im Übrigen gelten weiterhin die RLS-90. Das Verfahren zur Änderung der 16. BImSchV hat nach unserer Kenntnis gerade erst begonnen und eine Verabschiedung ist derzeit nicht abzusehen – das kann also dauern.

Fassen wir zusammen: Die vorläufigen Berechnungsmethoden gelten nicht mehr, KNOSSOS wurde als BUB in nationales Recht übernommen, die RLS-19 ist ein bisschen eingeführt, in wesentlichen Punkten gelten aber weiterhin die RLS-90. Von dem Wunsch nach einer Vereinheitlichung des Lärmschutzrechts sind wir heute weiter entfernt als je zuvor!

Dieser Post bezieht sich nur auf den der derzeit erkennbaren rechtlichen Stand – der ist schon unübersichtlich genug. Richtig spannend wird aber erst die Frage, ob bzw. in welchem Umfang sich die Berechnungsergebnisse nach RLS-90, VBUS, BUB und RLS-19 unterscheiden. Erste Hinweise lassen nichts Gutes erahnen. Richtig spannend wird die Frage nach den Unterschieden zwischen den Berechnungsmethoden im Zusammenhang mit den derzeitig geltenden Lärmvorsorgewerten, Lärmsanierungswerten und Auslösewerten für den Lärmaktionsplan. Müssen wir Lärmbetroffenen zukünftig erklären, dass sie entgegen bisherigen Feststellungen gar kein Lärmproblem haben, weil sich die Berechnungsmethoden geändert haben?